Lerntheorie: im Hundetraining richtig eingesetzt - Teil 5/5

Nachdem wir uns mit den Teilen 1 bis 4 dieses Fachbeitrages ein schönes Grundwissen an Lerntheorie angeeignet haben, befassen wir uns in diesem letzten Teil damit, wie wir eine Trainingseinheit vorbereiten und umsetzen, damit wir das Endresultat möglichst effizient erreichen.

Fachbeitrag Lerntheorie Hund - Teil 5

In den vorausgehenden Beiträgen bezüglich der Lerntheorie haben wir nicht nur gelernt wie Hunde lernen, sondern auch, dass Lernen immer stattfindet. Die Lerntheorie begleitet uns also immer im „Hundealltag“, egal ob bewusst oder unbewusst.

Nun geht es aber vor allem darum, wie wir ein Trainingsziel möglichst effizient erreichen können: Natürlich unter Anwendung der Lerntheorie. Dabei stellen wir uns viele Fragen und bereiten uns entsprechend vor.

Trainingsaufbau - Wie wird erfolgreiches Hundetraining angegangen?

Bevor wir mit dem Training starten überdenken wir als erstes mit welchem Hund wir trainieren (Rasse, Alter, Gesundheit, Kreativität etc.), wo wir im Training mit dem Hund stehen (Lernphase), welche Lernformen und Lerntechniken wir anwenden wollen, welches Kriterium wir uns als Ziel setzen und welche Belohnungsart und -qualität wir einsetzen wollen.

Nachfolgend die wichtigsten Punkte, die wir, bevor wir überhaupt mit dem Trainieren starten, beachten müssen:

Lernphasen beim Hund

Damit das Training mit dem Hund auch zum Erfolg wird, müssen wir uns an die folgenden vier Lernphasen halten.

  1. Erwerb
  2. Fluss
  3. Generalisierung (Verallgemeinerung)
  4. Aufrechterhaltung

Eine Lernphase geht fliessend zur nächsten über.

 

Lerntheorie - Welche Lernphasen gibt es?

In jeder Lernphase und vor jedem Trainingsbeginn überlegen wir uns wie wir das Training individuell aufbauen und gestalten, so dass es für den Hund leicht umsetzbar und verständlich ist, Spass macht und zum angestrebten Ziel des gesetzten Kriteriums führt.

 

1. Lernphase "Erwerb"

Wollen wir dem Hund ein neues Verhalten beibringen, können wir das über die Lerntechniken „Locken oder Formen“ (Shaping) erzielen. In der Lernphase des Erwerbs verstärken wir die erwünschte Verhaltensweise immer.

 

Lerntechnik: Locken

Zum Erwerb einer neuen Übung ist „Locken“ eine sinnvolle Lerntechnik, die in der Hundeerziehung durchaus ihre Berechtigung findet.

Unter „Locken“ verstehen wir alles, womit wir einen Hund effizient und ohne Zwang zu einer bestimmten Verhaltensweise (z.B. Position) bewegen können. Meist wird dazu Futter eingesetzt, das wir in dieser Phase noch in der Hand halten (später nicht mehr).

Futter eignet sich sehr gut als Lockmittel, da es von den meisten Hunden sehr gerne angenommen wird. Selbstverständlich gibt es auch Alternativen zu Futter, zum Beispiel ein Spielzeug.

Sobald jedoch der Hund die neue Verhaltensweise mehr oder weniger verstanden hat, müssen wir das Lockmittel (reines Hilfsmittel zum Erwerb einer neuen Verhaltensweise) abbauen.

Warum?

Weil das Lockmittel sonst für den Hund zum wichtigsten Bestandteil der Übung wird. Wir möchten ja, dass der Hund das Verhalten später auch zeigt, ohne dass wir das Lockmittel einsetzen.

Lerntheorie - Locken

Der Hund soll sich im nächsten Schritt also auf die Ausübung der Übung selbst und nicht auf das Lockmittel konzentrieren um an seine Belohnung zu kommen.

Auf dieses Thema wird auch in Teil 4 eingegangen, beim Abschnitt der Futterbelohnung.

 

Trainingsfehler, Lockmittel nicht abbauen

Was passiert, wenn das Lockmittel nicht wieder abgebaut wird, sowie der Hund das Prinzip der Übung verstanden hat?

Nun, der Hund führt eine Verhaltensweise nur dann aus, wenn das Lockmittel präsent ist. Zum Beispiel sehen wir dies daran, dass der Hund unseren Rückruf nur dann befolgt, wenn er sieht, dass zum Beispiel unsere Hand in den Leckerlibeutel greift oder wir ihm die Futtertube fröhlich in der Luft winkend präsentieren.

 

Lerntechnik: „Formen“ (Shaping)

Nebst Locken kennen wir eine weitere Lerntechnik,das „Formen“ (Shaping). Formen bedeutet, den Hund in kleinen Schritten an das gewünschte Endverhalten zu führen. 

Beim „Formen“ brauchen wir einen positiven Verstärker. Dazu dient uns ein konditioniertes Markersignal (sekundärer Verstärker) also z.B. der Clicker oder das Lobwort.

Äusserst wichtig beim Formen sind unsere Beobachtungsgabe und das Timing. Wir müssen den Hund konzentriert beobachten, damit wir die kleinsten Anzeichen von Verhaltensweisen, die der Hund anbietet und die in Richtung des erwünschten Endverhaltens führen, punktgenau (0.5 bis 1 Sekunde) positiv verstärken. (Mehr zum Markersignal in den Teilen 2 bis 4)

Lerntechnik Formen mit Markersignal, hier z.B. der Clicker

2. Lernphase "Fluss"

Eine neu erworbene Verhaltensweise muss vielfach wiederholt (8'000 bis 10’000  Wiederholung) werden und muss unter Signalkontrolle (dazu später mehr) gestellt werden, damit die Verhaltensweise fliessend und bei voller Aufmerksamkeit vom Hund ausgeführt wird.

In der Lernphase "Fluss“ stellen wir auf intermittierende Belohnung um. Wir belohnen ab jetzt nicht mehr jedes Mal, sondern wir belohnen variabel (intermittierend). Als Beispiel, gibt es für die Verhaltensweise „Sitz“ einmal eine Belohnung und beim nächsten Mal keine, beim übernächsten Mal auch keine, dann gibt es wieder eine, etc. Für den Hund ist es so zwar nicht durchschaubar, wann er seine nächste Belohnung bekommt, doch da der Hund immer wieder mal eine Belohnung bekommt, bleibt seine positive Erwartungshaltung bzw. seine Motivation erhalten. (Mehr dazu in Teil 4 - positiv Belohnen gewusst wie!

 

Signalkontrolle

Signalkontrolle bedeutet nichts weiter, als dass der Hund ausschliesslich auf dieses Signal hin ein bestimmtes Verhalten zeigt. Bis ein Hund soweit ist, braucht es tausende Wiederholungen und das Verhalten muss generalisiert werden.

 

Sichtsignale oder Wortsignale? Warum beides Sinn macht.

Sichtsignale (Körpersprache) sind für Hunde einfacher verständlich als Wortsignale (wir erinnern uns an Teil 1, der Hund lernt stark in Bildern).

Ein Hund soll auf ein Sichtsignal wie auf ein Hörsignal ein bestimmtes Verhalten zeigen können. Warum? Stellen wir uns vor, wir haben auf einmal keine Stimme, weil wir stark erkältet sind, da sind wir froh, wenn wir den Hund über Sichtsignale souverän führen können.

Hunde werden älter und hören auf einmal nicht mehr so gut, da ist ein einst erlerntes Sichtsignal Gold wert. Umgekehrt kann ein Hund sein Augenlicht verlieren und jedes Sichtsignal wird wertlos, da sind wir froh, wenn der Hund auf ein Hörsignal ein Verhalten zuverlässig ausführt.

Lerntheorie - Sichtsignal und Hörsignal, beides macht Sinn!

3. Lernphase "Generalisierung (Verallgemeinerung)"

Auf die Lernphase „Fluss“ folgt die Lernphase „Generalisierung“.

Der Hund ist nun soweit, eine neu erworbene Verhaltensweise auf ein bestimmtes Signal hin auszuführen (Signalkontrolle).

Jetzt verlagern wir die Übung aus dem Wohnzimmer in den Garten, auf die Wiese, in den Wald, die Stadt, etc.

Lerntheorie Hund - Generalisierung

Eine Verhaltensweise zu generalisieren bedeutet, diese Verhaltensweise an diversen Orten, in den unterschiedlichsten Situationen, zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten (tags wie nachts), unter verschieden starker Ablenkung mit dem Hund weiter zu üben.

 

4. Lernphase "Aufrechterhaltung"

Damit der Hund eine erlernte Verhaltensweise nicht wieder vergisst, muss diese immer wieder beim Hund abgerufen werden - im Idealfall an diversen Orten und in den unterschiedlichsten Situationen, zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten und unter verschieden starker Ablenkung

Regelmässiges Einfordern des neu erworbenen Verhaltens ist ein Hundeleben lang erforderlich, ansonsten der Hund das erworbene Verhalten wieder vergisst (wir erinnern uns an Teil 2 - Löschung).

 

Lernformen (Lernprozesse) - Mit welchem Lernprozess arbeiten wir?

Bei den Dingen, die wir unserem Hund beibringen, arbeiten wir immer mit beidem, der klassischen Konditionierung und der operanten Konditionierung. Wichtig ist, dass wir sie unterscheiden können und das Training entsprechend strukturieren.

Die Lernformen klassische Konditionierung und operante Konditionierung wurden in Teil 2 dieses Fachbeitrags ausführlich erläutert.

 

Lerntechnik - Welche Technik eignet sich besser?

Als Lerntechniken stehen uns das „Locken“ oder das „Shaping“ (Formen) zur Verfügung (siehe weiter oben unter Lernphasen). Je nach Hund, Übung und Situation eignet sich die eine besser als die andere. Wir überlegen uns im Voraus, welche für unsere Übung mehr Sinn macht.

 

Kriterium - Was genau soll der Hund lernen?

Bevor wir mit dem Training starten, fragen wir uns, was wir dem Hund für eine Aufgabe stellen wollen, respektive, welchen Schritt oder Teilschritt einer Übung der Hund lernen soll?

Wir fragen uns wie weit fortgeschritten der Hund bereits mit der Übung ist und wie kreativ der Hund im Lernen ist.

Wir fragen uns, was wir dem Hund zumuten können ohne ihn zu unter- oder überfordern.

Kriterium - was genau soll der Hund lernen?

Der Zeitfaktor - Timing ist alles im Hundetraining

Der Zeitfaktor ist elementar im Hundetraining: Hunde verknüpfen innert 0.5 bis 1 Sekunde! Genau hier liegt oft die Schwierigkeit: Oft sind wir zu langsam und wir verstärken eine Verhaltensweise, die wir gar nicht verstärken wollten, der Hund lernt nicht das, was wir uns wünschen.

Indem wir zu zweit trainieren und die eine Person, die andere beobachtet und konstruktives Feedback zu unserem Timing gibt, können wir uns verbessern.

 

Belohnungsrate / Belohnungsqualität

Wir fragen uns, womit und wie oft wir den Hund während der Übung belohnen wollen? In welcher Lernphase befinden wir uns? Müssen wir eine Verhaltensweise immer verstärken oder können wir sie variabel (intermittierend) verstärken? Stimmt die Qualität der Belohnung aus Sicht des Hundes? (Mehr dazu in Teil 4 - positiv Belohnen gewusst wie!

 

Weitere wichtige Fragen vor dem Training

Wir stellen uns weitere Fragen, bevor wir mit dem Hundetraining starten, zum Beispiel die folgenden:

  • An welchem Tag, zu welcher Uhrzeit will ich mit dem Hund lernen?
  • An welchem Ort will ich mit dem Hund lernen?
  • Ist der Hund aufmerksam und bereit zu lernen?
  • Welchen Lernprozess wende ich an?
  • Welche Lerntechnik benutze ich?
  • Wie lange kann sich der Hund konzentrieren?
  • Wie lange kann ich mich konzentrieren?
  • In welchem Ausbildungsstadium befindet sich der Hund?
  • Wie kreativ ist der Hund im Lernen?
  • Womit kann ich den Hund motivieren?
  • Stimmt der Deprivationslevel?
  • Womit kann ich den Hund belohnen?
  • Stimmt die Qualität der Belohnung?
  • Ist der Hund gesund?
  • Hat der Hund körperliche Beschwerden?

 

Wichtige Fragen vor dem Hundetraining

Die Liste mit den Fragen ist nicht abschliessend. Es ist wichtig, dass wir uns diese Fragen vor dem Trainingsstart stellen und beantworten.

Ein Trainingsplan hilft, das Trainingsziel nicht aus den Augen zu verlieren.

 

Lernen soll Spass machen

Lernen soll Spass bereiten. Haben wir keine Lust mit dem Hund zu trainieren, dann sollten wir es lassen. Hat der Hund keine Lust zu trainieren, dann sollten wir es auch lassen.  

Wir brauchen eine freudige entspannte Ausgangslage, damit Lernen in der Mensch-Hund-Beziehung richtig viel Spass macht, ein Hundeleben lang!

Lernen soll Spass machen - Hund und Mensch!

 

Sie haben noch Fragen?

Sie haben nun alle 5 Teile dieses Fachbeitrages gelesen. Sie haben sich damit das Grundwissen der Lerntheorie angeeignet. Herzlichen Glückwunsch!

Es gibt immer mehr Hundeschulen, die nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten. Es werden vielerorts Kurse und Seminare angeboten, die sich an der Lerntheorie orientieren. Auch viele SKN-Kurse informieren über die Lerntheorie. Eine gute Hundeschule beantwortet Ihre Fragen rund um das Lernen gerne fachlich kompetent. Wir wünschen Ihnen viele schöne Momente und Aha-Erlebnisse im Training mit Ihrem Hund!

 

Die gesamte Serie "Lerntheorie Hund" lesen

Wir sind uns bewusst, dass die einzelnen Beiträge dieser Serie etwas länger ausfallen als gewohnt. Gewisse Themen brauchen etwas Substanz, damit sie gut verstanden werden können. Es lohnt sich sehr alle 5 Teile zu lesen!

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Dieser Beitrag wurde geschrieben von Simone Sonderegger, Hundecollege Hundeherzlichen Dank!

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Autoren

Simone Sonderegger
Hundeverhaltenstherapeutin & Hundeinstruktorin

Hundecollege

Simone leitet das Hundecollege im Raum Zürich.
Simone’s Fachschwerpunkt ist die private und individuelle Verhaltensberatung. Ihre Aufgabe als zertifizierte Hundeinstruktorin und zertifizierte Hundeverhaltenstherapeutin ist es Menschen insbesondere über das Ausdrucksverhalten beim Hund, die Lerntheorie, und den Verhaltenscodex zu informieren und Lösungen beim Auftreten unerwünschter Verhaltensweisen und Verhaltensprobleme beim Hund, die das entspannte Zusammenleben zwischen Mensch und Hund beeinträchtigen und belasten, auszuarbeiten.

Das Ziel ihrer Tätigkeit ist immer die Mensch-Hund-Beziehung individuell zu stärken, möglichst schon bevor ein Problem auftritt.

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