Lerntheorie: Positiv belohnen, gewusst wie - Teil 4/5

Dieser Fachbeitrag ist die Fortsetzung von Teil I , Teil 2 und Teil 3 - das Lesen aller Teile ist sehr empfohlen.

Im letzten Teil dieses Fachbeitrages haben wir uns mit den unterschiedlichen Formen von Strafe und Belohnung befasst. Wir haben die Schattenseiten der Strafe kennen gelernt und befassen uns darum hier in Teil 4 umso lieber mit den verschiedenen positiven Belohnungsarten - denn so kommt Motivation und echte Power ins Hundetraining!

 

Lerntheorie Hund - Fachbeitrag Teil 4

Das richtige Timing im Hundetraining

Wie in den vorausgehenden Teilen dieses Fachbeitrages mehrmals erwähnt: Timing im Hundetraining ist elementar. Möchten wir unseren Hund für das Verhalten X belohnen, müssen wir ihm die Belohnung innert 0.5 Sekunden nach diesem Verhalten zukommen lassen. Damit uns dies gelingt, stehen uns neben den Primären Verstärkern die sekundären Verstärker (Markersignale) zur Verfügung. Mehr dazu in Teil 3.

Belohnungsarten und ihre Qualitäten

Wie wir gleich sehen werden gibt es eine grosse Auswahl an Möglichkeiten, wie wir unseren Hund positiv belohnen können.

Fragen wir Hundehalter wie sie ihre Hunde belohnen, antworten sie meistens „indem er etwas Gutes bekommt, z.B. Futter oder Zuwendung (z.B. Streicheln)“. Fragten wir aber den Hund, was er denn in einer entsprechenden Situation als Belohnung wirklich mag, würden wir möglicherweise eine „Antwort“ bekommen, mit der wir nicht gerechnet haben.

 

Jeder Hund hat eigene Vorlieben

Jeder Hund entscheidet individuell darüber, was für ihn in der entsprechenden Situation eine hochwertig positive Belohnung darstellt. Etwas, das für einen Hund in einer bestimmten Situation belohnenden Charakter hat, muss für einen anderen Hund längst keinen belohnenden Charakter haben.

 

Mögliche positive Belohnungsarten

Die beste Belohnung für einen Hund ist immer das, was er in diesem Moment gerade am liebsten haben oder tun möchte.

Nachfolgend eine Auflistung, was dies alles sein könnte:

  • Zuwendung / Aufmerksamkeit
  • Futter (in 1'000 Variationen: vom Trockenfutter übers Leckerchen bis hin zum LeParfait)
  • Wasser (trinken / schwimmen)
  • Spielzeug
  • Hundekumpel
  • Sexualpartner
  • Schnüffeln
  • Wälzen
  • Rennen
  • Karton zerfetzen
  • etwas tragen
  • Schatten (im Sommer, wenn es sehr warm ist)
  • Jagen (z.B. nach Mäusen buddeln)
  • Schlafen / Ruhen
  • usw.

Wir könnten die Liste beliebig weiter führen.

Lerntheorie Hund - Belohnung rennen

Lerntheorie Hund - Hund wälzt sich

 

Jeder Hund hat seine eigene Liste an positiven Belohnungsarten. Diese sollten wir bei unserem Hund abfragen, zu Papier bringen und die individuellen Lieblings-Belohnungen herausfiltern. Auf diese Weise bringen wir das Training mit unserem Hund auf ein ganz neues Level.
 

Hunde unterscheiden die Qualität einer Belohnung

Ein Hund entscheidet individuell darüber, welche Qualität eine Belohnung für ihn hat. Für den einen Hund hat das alltägliche Futter bereits eine hohe Belohnungsqualität, wohingegen ein anderer Hund ein Stückchen Wurst, Käse oder ein tolles Spiel mit seinem Halter qualitativ höher einstuft als sein alltägliches Futter.

Der Wert einer Belohnung wird ersichtlich, indem ein Hund in einer bestimmten Situation eine gewisse Belohnung gegenüber einer anderen Belohnung bevorzugt.

Wir können dies testen, indem wir dem Hund zum Beispiel zwei verschiedene Sorten Futter gleichzeitig anbieten. Das Futter, das der Hund zuerst frisst, wird von ihm bevorzugt.

 

Hunde unterscheiden situativ

Ein Hund bevorzugt je nach Situation eine andere Belohnung:

  • Ein Hund, der gerade ein leckeres Stück gammliges Brot ausgeben muss (Signal „Aus“), das er in einer Pfütze gefunden hat, freut sich über eine grosszügige hochwertige Futterbelohnung, die für ihn mehr als ein adäquater Ersatz darstellt.
  • Der gleiche Hund, der im Freilauf gerade ein Eichhörnchen gesichtet hat und von seinem Besitzer via Rückruf vom Jagen abgehalten werden konnte, freut sich vielleicht mehr über ein Beute-Zerr-Spiel mit seinem Menschen, das als Jagd-Ersatz für ihn einen höheren Belohnungscharakter hat als Futter.

 

Den Hund seiner Leistung entsprechend belohnen

  • Für besonders gute Leistungen sollten Hunde auch besonders hochwertig belohnt werden. Wenn wir also z.B. in unserem Goodie-Bag normales Trockenfutter und verschiedene Lieblings-Leckerchen des Hundes dabei haben und unseren Hund gerade vom Jagen einer Katze zurückrufen konnten - was uns bisher noch nie gelungen ist - dann sollten wir ihm als Belohnung unbedingt eine tolle Fress-Party mit seinen Lieblings-Leckerchen anbieten - in einer solchen Situation also nicht geizen was die Belohnung und unsere freudige Stimmung angeht.
  • Wenn der Hund sich brav neben das Auto setzt und wartet bis er einsteigen kann, wie er das bereits 1000 Mal gemacht hat, ist es ausreichend wenn wir ihn verbal oder mit einem Stück Trockenfutter belohnen.
  • Kann der Hund jedoch das Signal „Sitz“ noch gar nicht und wir sind dabei, ihm dieses beizubringen, dann sollten wir ihn bei gutem Gelingen auch mit einem Lieblings-Leckerchen belohnen um ihn zu motivieren, dieses Verhalten auch zukünftig auszuführen.

 

Streicheln als Belohnung

Vielfach hört und sieht man, dass Menschen ihre Hunde zur Belohnung über den Kopf streicheln. Da wir unsere Hunde lieben, berühren wir sie gerne, es tut uns gut. Dem Hund, wenn er es mag, tut es auch gut.

Hunde streicheln als Belohnung

Doch Vorsicht:

Viele Hunde aber mögen es ganz und gar nicht im Training gestreichelt, geschweige denn getätschelt zu werden oder wollen während des Trainings generell nicht gerne angefasst werden.

Die Körpersignale des Hundes teilen uns mit, ob der Hund das Streicheln als Belohnung empfindet oder eben nicht.

Wer Schwierigkeiten hat dies einzuschätzen, kann seinen Hund zur Abwechslung mit Futter oder Spiel belohnen und wird den Unterschied sofort erkennen.

Futter als Belohnung - absolut richtig

Viele Hundehalter wehren sich dagegen mit Futter zu arbeiten weil sie gehört haben, dass der Hund dann nur noch mit uns arbeitet, wenn wir Futter in der Hand halten. Soweit richtig, halten wir das Futter stets in der Hand bereit befinden wir uns in der Lerntechnik des „Lockens“: der Hund wird nur dann das entsprechende Verhalten ausführen, wenn wir das Futter in der Hand halten. Doch das Locken ist nur ein Teil-Schritt im Training.

Darum schauen wir diesen Punkt im Teil 5 noch genauer an. Denn das Trainings-End-Ziel ist es natürlich „leere Hände“ zu haben - und dem Hund die Belohnung erst zu präsentieren nachdem wir das erwünschte Verhalten mit dem Markersignal (Lobwort oder Clicker) verstärken konnten. Richtig angewendet spricht also gar nichts gegen Futterbelohnung.

Jeder Hund liebt es grundsätzlich sich Ressourcen zu erarbeiten - das liegt in seiner Natur.

Futter ist eine Ressource, die der Hund zum Überleben braucht und kann daher im Hundetraining - lerntheoretisch korrekt angewendet - als Motivationsmittel höchst effizient und erfolgreich eingesetzt werden.

Lerntheorie Hund - Motivation zur Futtererarbeitung ist sehr gross!

Weitere Vorteile der Futterbelohnung:

  • Futter ist eine Belohnung, die bei Hunden i.d.R. nicht extra aufgebaut werden muss, sondern von sich aus belohnend wirkt (primärer Verstärker).
  • Zum Lernen benötigen wir eine positive Stimmung: Futter ist unmissverständlich positiv und versetzt den Hund in einen positiven emotionalen Zustand.
  • Zum Lernen benötigen wir einen möglichst entspannten Organismus: Futter regt den Parasympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems, der den Hund beruhigt/entspannt) an.
  • Futter gibt es in unbegrenzt vielen Möglichkeiten und Belohnungsstufen. Egal ob Trockenfutter, halbfeuchtes Futter, Nassfutter, Leckerchen, Käsestücklein, Wurststücklein, Apfelstücklein, Karottenstücklein, Leberwursttube usw. – es gibt alles in fast unendlich vielen Variationen - jedem Hund das, was er mag! (Vorsicht: giftigen Lebensmittel für Hunde)
  • Futter in kleinen und am besten weichen Stücken kann der Hund sofort schlucken und danach kann gleich weitergearbeitet werden.
  • Futter kann man nicht nur aus der Hand geben. Futter kann man z.B. auf der Wiese ausstreuen und den Hund das Futter suchen lassen.
  • Futter kann man dem Hund zuwerfen - er kann es auffangen oder vom Boden suchen
  • Futter kann man verstecken z.B. im Laub, in Baumrinde, auf Zweigen, in der Wohnung etc.
  • usw.

 

Ein häufiges Missverständnis

Zu denken, dass Hunde etwas „aus Liebe“ für uns tun, ist ein sehr vermenschlichter Ansatz. Der Hund ist ein Opportunist (ein Individuum, das zweckmässig handelt, um sich der jeweiligen Lage anzupassen und einen Vorteil daraus zu ziehen). Ein Hund tut Dinge vor allem aus einer bestimmten Motivation heraus um einen Eigennutzen daraus zu ziehen - gerade darum ist ja die Motivation bzw. die richtige Belohnung so wichtig.

 

Verstärkungspläne - wie belohnen wir wann?

Verstärker müssen richtig eingesetzt werden um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Dazu stehen uns die sogenannten Verstärkungspläne zur Verfügung.

Unter Verstärkungsplänen verstehen wir die Intervallverstärkung und die Quotenverstärkung. Beide können immer (konstant) oder intermittierend (variabel) eingesetzt werden.  

Immerverstärkung (kontinuierliche Verstärkung) 

Bei der kontinuierlichen Verstärkung wird jedes Auftreten des gewünschten Verhaltens belohnt bzw. verstärkt. Insbesondere beim Aufbau (Erwerb - wird in Teil 5 erklärt) von neuem Verhalten ist kontinuierliche Verstärkung angebracht. Darüber hinaus unterscheiden wir Quoten- und Intervallverstärkung.

Hund lerntheorie - Futterbelohnung

Intermittierende Verstärkung (variable Verstärkung)

Wird das gewünschte Verhalten nur gelegentlich verstärkt, spricht man von einer intermittierenden oder variablen Verstärkung. Intermittierende Verstärkung bewirkt eine hohe Löschungsresistenz des einmal gelernten Verhaltens (Aufrechterhaltung - wird im Teil 5 erklärt).

Wenn also ein bereits gut erlerntes Verhalten nur noch gelegentlich verstärkt wird, bleibt es insgesamt länger bestehen, als wenn jeder einzelne Verhaltensfall verstärkt wird (Prinzip des Glückrades, es bleibt spannend - es kann jederzeit etwas für uns rausspringen). Darüber hinaus unterscheiden wir Quoten- und Intervallverstärkung.

 

Grafik Verstärkerpläne - Lerntheorie positive Belohnung

Aber Achtung: Bei sehr wichtigen Signalen die der Hund absolut zuverlässig befolgen soll, wie z.B. beim Rückruf, sollten wir jedes Verhalten immer und dabei hochwertig belohnen, auch wenn der Hund das Signal bereits gut kennt und zuverlässig befolgt!

 

Kann/soll man die Belohnung irgendwann ganz weg lassen?

Diese Frage hören wir Hundetrainer/Innen häufig. Wenn wir uns an die „Löschung“ (siehe Teil 2) erinnern, lautet die Antwort ganz klar: Nein!

Würden wir die Belohnung für ein bestimmtes Verhalten eines Tages ganz weg lassen, verliert der Hund seine positive Erwartungshaltung und damit die Motivation. Die Folge: aus seiner Sicht lohnt es sich nicht mehr länger, dieses Verhalten (zuverlässig) zu zeigen (z.B. Sitz und Platz auf Signal, kommen beim Rückruf etc.) und das erwünschte Verhalten nimmt ab.

 

Wir unterscheiden uns gar nicht so sehr von Hunden

Stellen wir uns vor wir haben die Arbeitsstelle vor kurzem gewechselt und sind in unseren neuen Job intensiv eingearbeitet worden. Wir sind motiviert unser Bestes zu geben, schliesslich ist das Salär bei unserem neuen Arbeitgeber attraktiv, und der Bonus Ende Jahr motiviert uns zusätzlich die Erwartungshaltung unseres Arbeitgebers zu erfüllen. Der Arbeitgeber ist mit unserer Leistung äusserst zufrieden und zahlt uns am Ende jeden Monats unser Salär aus. Auch den verdienten Bonus erhalten wir am Jahresende, worüber wir uns sehr freuen.

Nach einem Jahr beherrschen wir unsere Aufgaben sehr gut - wir müssen aus Sicht unseres Arbeitgebers nichts mehr Neues dazu lernen. Unser Arbeitgeber beschliesst deshalb, uns ab sofort keinen Lohn mehr auszuzahlen, auch der Bonus wird eingestellt.

Wie lange wären wir wohl noch motiviert unseren Arbeitsplatz morgens pünktlich anzutreten und täglich unser Bestes zu geben? Wohl nicht mehr allzu lange ...

und genau so würde es auch dem Hund ergehen. Stattdessen würde sich der Hund nach einer anderen Beschäftigung umschauen, eine die ihn mehr motiviert, bzw. für ihn einen belohnenderen Charakter hat.

Und eine neue "tolle" Beschäftigung würde er ganz bestimmt finden - ob sie uns gefällt oder nicht.

Lerntheorie Hund - Belohnung nie weglassen

In diesem Teil des Fachbeitrages haben wir uns damit beschäftigt, wie wir unseren Hund positiv belohnen können. Für ein erfolgreiches Hundetraining ist es wichtig zu verstehen, was für unseren Hund eine hochwertige Belohnung darstellt und wie wir die Belohnung lerntheoretisch korrekt und mit viel Abwechslung und Kreativität einsetzen.

In den vergangenen vier Teilen dieses Fachbeitrages haben wir uns nun einen schönen Rucksack an Lerntheorie angeeignet. Im nächsten und letzten Beitrag schauen wir uns an wie wir dieses Wissen nun im Training konkret einsetzen können.

 

Die gesamte Serie "Lerntheorie Hund" lesen

Wir sind uns bewusst, dass die einzelnen Beiträge dieser Serie etwas länger ausfallen als gewohnt. Gewisse Themen brauchen etwas Substanz, damit sie gut verstanden werden können. Es lohnt sich sehr alle 5 Teile zu lesen!

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Dieser Beitrag wurde geschrieben von Simone Sonderegger, Hundecollege Hundeherzlichen Dank!

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Autoren

Simone Sonderegger
Hundeverhaltenstherapeutin & Hundeinstruktorin

Hundecollege

Simone leitet das Hundecollege im Raum Zürich.
Simone’s Fachschwerpunkt ist die private und individuelle Verhaltensberatung. Ihre Aufgabe als zertifizierte Hundeinstruktorin und zertifizierte Hundeverhaltenstherapeutin ist es Menschen insbesondere über das Ausdrucksverhalten beim Hund, die Lerntheorie, und den Verhaltenscodex zu informieren und Lösungen beim Auftreten unerwünschter Verhaltensweisen und Verhaltensprobleme beim Hund, die das entspannte Zusammenleben zwischen Mensch und Hund beeinträchtigen und belasten, auszuarbeiten.

Das Ziel ihrer Tätigkeit ist immer die Mensch-Hund-Beziehung individuell zu stärken, möglichst schon bevor ein Problem auftritt.

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