Medical Training: So funktioniert das Training - Teil 3/3
Nachdem wir im 1. Teil dieses Fachbeitrages erfahren haben warum das Medical Training für unsere Hunde so wichtig ist, ging es im Teil 2 darum wichtiges Hintergrundwissen zu erfahren, bevor man mit dem Training startet. Wir empfehlen euch daher den 1. und 2. Teil dieses Fachbeitrages ebenfalls zu lesen, da euer Wissen über das Medical Training ansonsten Lücken aufweist ist.
Nun geht es also um das Training selbst, also den Weg zum Ziel: einen entspannten Hund in Tierarzt- oder ähnlichen Situationen. Wie immer im Hundetraining führen viele Wege ans Ziel. Einige Möglichkeiten stellen wir euch hier gerne vor.
Was passiert beim Medical Training?
Je nach Hund und Vorgeschichte wird der Schwerpunkt des Trainings variabel ausfallen. Das Trainingsziel jedoch bleibt das Gleiche: Wir wollen einen angstfreien Hund, der bei Untersuchungen wie auch Manipulationen durch den Menschen entspannt bleibt.
Habituation
Die Habituation ist die Gewöhnung an einen Reiz, welcher wiederholt auftritt und vom Individuum als ungefährlich eingestuft wird.
Beispiel Zeckenziehen: Der Mensch geht mit der Zeckenzange auf den Hund zu, setzt diese an der Zecke an und zieht sie heraus. Beim ersten Mal weicht der Hund etwas zurück. Mit jeder weiteren Wiederholung wird das Zurückweichen jedoch weniger, bis der Hund schliesslich komplett still hält.
Was ist passiert?
Beim ersten Mal war es für den Hund eine komplett neue Situation, die natürliche Reaktion darauf: Zurückweichen. Hat er das Procedere insgesamt als ungefährlich empfunden, wird er beim nächsten Mal weniger zurückweichen. Da die Habituation ein Lernprozess ist, benötigt es ein paar Wiederholungen, bis der Hund schliesslich komplett still hält.
Das ist wohl die einfachste Möglichkeit, den Hund mit Untersuchungen und Manipulationen vertraut zu machen. Allerdings funktioniert diese Methode nur, wenn der Hund diese Situation als ungefährlich einstuft - ansonsten kann keine Habituation stattfinden! Folglich muss das Zurückweichen im Training von Mal zu Mal weniger werden und darf keinesfalls zunehmen.
Klassische Gegenkonditionierung
Bei der Gegenkonditionierung wird ein für das Individuum als bedrohlich eingestufter Reiz mit einem positiv empfundenen Reiz kombiniert. Das Ziel: die zuvor als negativ erlebte Emotion durch eine positive zu ersetzten.
Beispiel Zeckenziehen: Der Mensch geht auf den Hund zu, setzt die Zeckenzange an und zieht die Zecke heraus. In diesem Beispiel, löst der Vorgang beim Hund eine negative Emotion (wie etwa Unbehagen oder Angst) aus. Erhält der Hund nun gleichzeitig (ev. von einer Hilfsperson) etwas Positives* (z.B. Futter, welches er sehr gerne frisst), wird wiederum eine positive Emotion (Freude) ausgelöst.
Nach einigen Wiederholungen (mehrmals, über mehrere Tage verteilt) wird der Hund das Zeckenziehen in Zukunft mit etwas Positivem verbinden und sich das Ziehen einer Zecke „gerne“ gefallen lassen.
Wird der Reiz vom Hund jedoch als zu bedrohlich empfunden, kann dies eine Gegenkonditionierung alleine nicht verhindern, womit die Angst bestehen bleibt. In so einem Fall nimmt man sich die systematische Desensibilisierung zu Hilfe (siehe unten) welche in der Praxis oft mit der klassischen Gegenkonditionierung verfliesst.
Anmerkung zur positiven Komponente*
Im Allgemeinen kann als positive Komponente allerhand verwendet werden, z.B. Spielzeug, Futter, ein Lob, eine Kauwurzel, ein kurzer gemeinsamer Sprint usw.
Es muss lediglich vom Hund in dieser Situation als positiv empfunden werden. Beim Medical Training jedoch ist ein niedriges Erregungsniveau erwünscht, weshalb sich etwa Futter eher eignet als Spielzeug.
Systematische Desensibilisierung
Bei der systematischen Desensibilisierung handelt es sich um eine differenziertere Form der Gegenkonditionierung, hierbei wird die negative Emotion, welche durch einen angsteinflössenden Reiz ausgelöst wird schrittweise durch eine positive Emotion ersetzt.
Dafür wird vorab eine Angsthierarchie aufgestellt, dessen Reize anschliessend einzeln nacheinander mit einer positiven Komponente kombiniert werden.
Beispiel Zeckenziehen:
1) Aufstellung der Angsthierarchie: es wird eine Liste erstellt. Beginnend mit dem Reiz der den Hund am wenigsten beunruhigt, bis hin zum Reiz, der ihn am meisten ängstigt. Für unser Beispiel könnte das ungefähr so aussehen:
- Der Mensch nähert sich dem Hund mit der Zeckenzange (am wenigsten beängstigend),
- setzt die Zange an der Zecke an (etwas mehr beängstigend),
- zieht die Zecke heraus (am meisten beängstigend).
2) Allmähliche Präsentation der Reize: zu Beginn wird der Hund mit dem am wenigsten beängstigenden Reiz konfrontiert: Der Mensch nähert sich dem Hund mit der Zeckenzange, gleich darauf erhält er von seinem Menschen etwas Positives - wie auch bei der Gegenkonditionierung wäre Futter eine sehr geeignete Variante.
Sobald die Angstreaktion bei diesem Reiz ausbleibt, wird mit dem nächsten Reiz aus der Hierarchieliste weitergefahren, bis diese komplett abgearbeitet ist und der Hund beim gesamten Ablauf entspannt bleibt.
Signale geben dem Hund Sicherheit
Signale sind nützliche Werkzeuge im Training. Sie können nicht nur ein erwünschtes Verhalten vom Hund abrufen, sondern auch dazu verwendet werden, dem Hund eine Information zukommen zu lassen.
Das Ansagen von Ereignissen
Mit Hilfe von Signalen ist es möglich, dem Hund eine gewisse Vorhersagbarkeit der anstehenden Geschehnisse zu kommunizieren.
Hunden, wie auch anderen Tieren oder Menschen, gibt es Sicherheit, wenn sie kommende Ereignisse abschätzen können.
Praxis
Wird jedes Mal vor einem bestimmten Ereignis ein bestimmtes Signal gegeben, erlangt dieses nach einigen Wiederholungen an Bedeutung und dem Hund wird bewusst sein welches Ereignis er zu erwarten hat.
Wird dem Hund beispielsweise jedes Mal, bevor er abgetastet wird, das Wort „anfassen“ gesagt, weiss er nach einiger Zeit, dass er nach Erklingen dieses Wortes abgetastet wird.
So kann für alle erdenklichen Ereignisse (Ohren anschauen, Pfoten untersuchen, Fieber messen usw.) ein eigenes Signal gegeben werden.
Training auf bestimmtem Untergrund (Untergrund als Signal)
Ähnlich wie beim „Ansagen von Ereignissen“ verhält es sich mit dem „Training auf bestimmtem Untergrund“.
Hierbei steht der Hund während dem Medical Training immer auf dem selben Untergrund. Dieser Untergrund sollte transportabel und rutschfest sein, damit er an jeden beliebigen Ort mitgenommen werden kann und auch auf glatter Fläche (z.B. Tierarzttisch) hält. Besonders zu empfehlen ist zum Beispiel eine Duschmatte, bzw. ein Badezimmer-Teppich.
Die Matte als Ritual gibt dem Hund Sicherheit, sie signalisiert ihm, dass er alle möglichen Komponenten aus dem Medical Training zu erwarten hat. Der Vorteil ist, dass es ein Dauersignal darstellt. Das bedeutet, solange der Hund auf der Matte steht, kann er davon ausgehen, dass etwas an ihm gemacht wird. Leider ist es nur ein sehr allgemeines Signal, welches es dem Hund nicht ermöglicht, die Untersuchungen im Detail abzuschätzen.
Konditionierte Entspannung
Mit der konditionierten Entspannung ist es möglich, dem Hund mit Hilfe eines Signals in ein niedrigeres Erregungsniveau zu versetzen.
Dabei kann der Hund durch ein gesprochenes Signal wie etwa „easy“ oder einem Dauersignal, welches über einen längeren Zeitraum anwesend ist (zum Beispiel ein spezielles Halstuch, welches er trägt), in einen entspannteren Zustand versetzt werden. Das Dauersignal hat den Vorteil, dass es dem Hund ständig wieder in den Sinn gerufen wird und er somit leichter über längere Zeit in diesem Zustand verweilt.
Aufbau des Entspannungs-Signals
Beim Aufbau wird das Signal mittels klassischer Konditionierung mit Entspannung verknüpft, indem das Signal gesagt oder das Halstuch umgebunden wird und anschliessend eine für den Hund entspannende Handlung stattfindet. Dazu gehören beispielsweise: den Hund massieren, streicheln oder mit einer weichen Bürste durchs Fell streichen.
Anmerkung
Die konditionierte Entspannung ist in Kombination mit anderen Trainingsmassnahmen ein nützliches Werkzeug für das Medical Training. Allerdings dürfen keine Wunder erwartet werden. Ist das Erregungslevel des Hundes beispielsweise sehr hoch, kommt es nur bedingt zu einem entspannteren Zustand. Genauso wenig wird der Hund in eine wirklich tiefe Entspannung fallen, wenn das Erregungslevel auch nur leicht erhöht zu sein scheint.
Alternative zum Entspannungs-Signal
Als Alternative für das Training eines Entspannungs-Signales kann dem Hund z.B auch ein ADAPTIL Halsband angezogen werden. Dieses Funktioniert über Pheromone der Mutterhündin und hat auf manche Hunde ebenfalls eine beruhigende Wirkung.
Initiator-Signal
Das Initiator-Signal ist ein Signal, mit welchem der Hund, dem Menschen kommunizieren kann, wann er für etwaige Untersuchungen oder Manipulationen bereit ist. Das Signal schafft eine auf Vertrauen beruhende Basis auf welcher Mensch und Hund miteinander kooperieren können.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Der Hund hat gelernt, ein bestimmtes Signal zu geben und für längere Zeit zu halten.
Er hat zum Beispiel gelernt, sein Kinn auf einen bestimmten Gegenstand abzulegen um zu signalisieren, dass er jetzt für die Untersuchung oder ähnliches bereit ist.
Löst er das Signal wieder auf, indem er den Kontakt zwischen Kinn und Gegenstand abbricht, so hat er die Sicherheit, dass die Untersuchung sofort unterbrochen wird, bis er wieder selbständig das Zeichen zum Weitermachen gibt. Dann legt er sein Kinn wieder auf den Gegenstand ab.
Was bringt das?
Mit Hilfe dieses Signals erhält der Hund die Kontrolle über die Situation, was ihm Sicherheit gibt. Das wiederum hat zur Folge, dass er sich schneller und im entspannten Zustand auf neue respektive unangenehme Untersuchungen wie auch Manipulationen, durch den Menschen einlässt.
Mögliche Initiator-Signale
Als Signal könnte dienen: mit der Nase gegen etwas stupsen, auf etwas draufbeissen, die Vorderpfoten auf etwas stellen oder, wie bereits erwähnt, das Kinn auf etwas legen.
Das Signal sollte nur für diesen Zweck XY gebraucht werden, dadurch wird es für den Hund eindeutiger. So könnte zum Beispiel ein signifikanter Gegenstand verwendet werden, gegen den der Hund mit der Nase stupst oder seine Pfoten drauf stellt etc.
Fazit Medical Training
Mit dem Medical Training kann der Hund auf Manipulationen durch den Besitzer wie auch Drittpersonen (Tierarzt, Coiffeur) vorbereiten werden, damit er solche Handlungen angst- und stressfrei über sich ergehen lassen kann. Dies erleichtert die Arbeit des Tierarztes, es hilft dem Tierhalter, und nicht zuletzt hilft es dem Hund, indem er die Manipulationen als kontrollierbare Situation erlebt.
Probiert es also aus! Bei Problemen und Fragen können euch Hundetrainer gerne behilflich sein. Schaut rein in unseren Veranstaltungen: es werden immer wieder mal Kurse zu Medical Training angeboten! Viel Freude beim Training!
Die gesamte Serie "Medical Training" lesen
Wir sind uns bewusst, dass die einzelnen Beiträge dieser Serie etwas länger ausfallen als gewohnt. Gewisse Themen brauchen etwas Substanz, damit sie gut verstanden werden können. Es lohnt sich sehr alle 3 Teile zu lesen!
- Teil 1 - Medical Training: Vorbereitung auf Tierarzt & Co.
- Teil 2 - Medical Training: Wichtiges vor dem Trainings-Start
- Teil 3 - Medical Training: So funktioniert das Training
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Dieser Beitrag wurde geschrieben von Jessica Perteck von "du und Hund" Hundeherzlichen Dank!