Unsicherheit und Stress beim Hund erkennen

Es ist für Hundehalter nicht immer leicht zu erkennen, was sich im Inneren ihres Hundes abspielt. Wie schnell entstehen Missverständnisse, weil Hund und Mensch die Signale des Anderen nicht erkennen. Die Kenntnis von Konfliktreaktionen hilft Ihnen, einzuschätzen, wie Ihr Hund sich fühlt. So können Sie entscheiden, ob er Ihre Unterstützung benötigt und mit einer Situation überfordert ist.

Beispiel 1: Frau Meier und Nana

Frau Meier ist mit ihrer sieben Monate alten Cockerspaniel Hündin Nana in der Innenstadt unterwegs. Die beiden sind noch dabei, die Grundkommandos zu üben und Frau Meier hat sich vorgenommen, Nana heute am Strassenrand absitzen zu lassen, bevor die beiden die Strasse überqueren.

Als das Team nun am Fussgängerstreifen steht, schaut Frau Meier ihre Hündin an und sagt „Sitz“. Ihre Hündin schaut zurück, macht aber keine Anstalten, sich hinzusetzen. Frau Meier ist irritiert, da sich Nana sonst immer sofort setzt, wenn sie es verlangt. Sie wiederholt das Signal noch einige Male und wird dabei immer bedrohlicher und lauter.

Besonders ärgert sie sich darüber, dass Nana sie zuerst fortwährend anschaut und irgendwann dann einfach beginnt, herumzuschnüffeln. Sie scheint also nur stur zu sein. Schliesslich gibt Frau Meier auf. Sie murmelt: „Blöder Hund!“ und überquert genervt die Strasse.

Was Frau Meier nicht beachtet hat

Bereits während die beiden zusammen die Strasse entlang gingen, leckte sich Nana auffällig oft die Schnauze.

Hund gähnt oft und stark - Stress und Überforderung

Drei Mal kurz hintereinander blieben die beiden stehen, weil die Hündin sich ausgiebig kratzte.

Als sie dann am Strassenrand warteten und Nana sitzen sollte, begann Nana zu gähnen.

Zudem hob sie ihre Vorderpfote und fiepte leise. Als Frau Meier strenger wurde, wandte die Junghündin den Blick ab, schnüffelte angestrengt und scharrte einige Male am Boden.

Hätte Frau Meier bereits etwas von Konfliktreaktionen gehört, dann wäre ihr aufgefallen, dass alle diese Verhaltensweisen darauf hindeuteten, dass Nana gestresst und in der Situation überfordert war.
 

Was sind Konfliktreaktionen und wie entstehen sie?

Konfliktreaktionen entstehen, wenn ein Hund gleichzeitig zwei verschiedene Antriebe verspürt, die er nicht beide ausführen kann.

Hund im Konflikt: Stress und Überforderung

Nana spürt in unserem Beispiel zwei Antriebe in sich. Einerseits möchte sie weg von der Strasse, da sie die vielen Autos verunsichern, sie möchte also weglaufen.

Andererseits verlangt Frau Meier von ihr, dass sie sich an diesem für sie „gefährlichen“ Ort setzt und wartet. Nana möchte ihr gehorchen und sie nicht verärgern, deshalb möchte sie tun, was Frau Meier sagt.

Durch ihre Unsicherheit kann sie dies aber nicht. Nana ist hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Antrieben und beginnt unbewusst, Konfliktreaktionen zu zeigen.

 

Beispiel 2: Herr Keller und Arco

Auch Herr Keller hat einige Mühe, das Verhalten seines Mischlingsrüden Arco einzuordnen. Wenn er nach Hause kommt, springt Arco jeweils wild an ihm hoch. Er fiept, bellt und rennt dabei immer hin und her. Herr Keller hat gehört, dass dies dominantes Verhalten sei, deshalb schimpft er immer mit seinem Rüden und schickt ihn weg.

Was Herr Keller nicht sieht:

Arcos Penis ist zudem ausgefahren und er wedelt sehr schnell mit dem Schwanz ganz tief zwischen den Beinen.
 
Auch Arco ist in einem Konflikt: Seine Bezugsperson ist nach Hause gekommen und er ist deswegen sehr aufgeregt. Er möchte Herr Keller begrüssen. Gleichzeitig hat er aber die Erfahrung gemacht, dass Herr Keller immer böse ist und mit ihm schimpft, wenn er nach Hause kommt, was den Rüden stark verunsichert. Arco weiss ja nicht, dass Herr Keller jeweils wütend wird, weil der Rüde aufgeregt zu ihm rennt, sondern verbindet die Stimmung seines Herrchens mit dem nach Hause kommen.
Arco möchte also einerseits Herr Keller beschwichtigen und positiv stimmen, indem er ihn ableckt und begrüsst. Andererseits ist er auch sehr unsicher und möchte sich lieber verstecken. Dies führt dazu, dass er wild hin und her rennt und dazu bellt, weil er so unsicher und aufgeregt ist.
 

Typische Konfliktreaktionen sind

  • Lecken der eigenen Schnauze
  • Gähnen
  • Fellschütteln
  • Kratzen
  • Lautäusserungen (Winseln, Fiepen, Bellen)
  • Anheben einer Vorderpfote
  • Schluckbewegung ohne Nahrungsaufnahme

  • Peniserektion
  • Grasfressen
  • Schnüffeln
  • Wegsehen
  • Aufreiten
  • Schwanzwedeln
  • Scharren

Aber Achtung!

Keine dieser Reaktionen alleine zeigt an, dass der Hund sich gestresst fühlt. Erst, wenn diese Anzeichen in erhöhter Häufigkeit besonders intensiv oder lange gezeigt werden, kann dies darauf hindeuten, dass der Hund in dem jeweiligen Moment unsicher, gestresst und überfordert ist.
 

Wie kann dem Hund, der im Konflikt ist geholfen werden?

Zeigt ein Hund eine Häufung dieser Reaktionen, so sollte man ihm helfen, die Situation positiv zu bewältigen.

Hund, Schnauze lecken

Frau Müller sollte also nicht darauf bestehen, dass Nana an der Strasse sitzt, da die Hündin nicht in der Lage ist, dieses Kommando auszuführen.

Sie hat nun die Möglichkeit, entweder die Übung leichter zu machen, indem sie ein einfacheres Kommando abfragt, z.B. einen kurzen Blickkontakt. Sie könnte aber auch etwas mehr Abstand zur Strasse halten und Nana in einer ruhigeren Ecke absitzen lassen.

Eine positive Bewältigung kann für den Hund eine positive Erfahrung sein und er gewinnt an Selbstvertrauen.

 

Wann sollte eine Situation sofort abgebrochen werden?

Es gibt aber auch Reaktionen, die anzeigen, dass man eine Situation mit seinem Hund möglichst schnell verlassen sollte. Es wird in diesem Zusammenhang von Anzeichen eines stark erhöhten Erregungszustandes gesprochen:

  • Starkes Hecheln (ohne Hitze oder körperliche Anstrengung)
  • Speicheln
  • Zittern
  • Bewegungsstarre
  • Aufgestellte Haare
  • Plötzliche Schreckhaftigkeit

Wenn Frau Meier bemerkt, dass Nana hechelt und zittert, sollte sie mit der Hündin ruhig aber entschieden sofort Distanz zur Strasse suchen, damit sich diese beruhigen kann. Nana zeigt in diesem Fall Symptome einer starken Angstreaktion und es muss behutsam an ihrer Angst vor Strassen gearbeitet werden.

Jeder Hund zeigt bestimmte Konfliktsignale häufiger als andere. Die einen Hunde schütteln sich, andere kratzen sich oder gähnen. Welche Signale zeigt Ihr Hund vermehrt und in welchen Situationen?

Fazit

Wenn Sie die Konfliktreaktionen und Anzeichen eines stark erhöhten Erregungszustandes bei Ihrem Hund kennen, können Sie ihn im Alltag optimal unterstützen. Ihr Hund kann sich auf Sie verlassen und sein Vertrauen in Sie wird wachsen. So meistern sie als Team jede Herausforderung!

 

 

Dieser Fachbeitrag wurde geschrieben von Katrin Andres von der "Hundeverhaltensberatung Andres" (Quelle: Hundeverhalten, das Lexikon, A. Weidt, S. 44 und 90-92). Hundeherzlichen Dank!

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Autoren

Katrin Andres
Hundeverhaltensberaterin

hundeverhaltensberatung-andres.ch

Katrin Andres begleitet als Hundeverhaltensberaterin Hunde und Menschen. Besonders spezialisiert hat sie sich auf die Themenbereiche Angst, Aggression und Hyperaktivität beim Hund.

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