Verhaltenstherapie beim Hund - Teil 2 / 3

Dies ist die Fortsetzung des Fachbeitrages "Verhaltenstherapie beim Hund - Teil 1"

Nachdem wir im Teil 1 aufzeigten, was Verhaltensprobleme sind und wie sie entstehen können, gehen wir in diesem Teil auf den Ablauf einer fachgerechten Verhaltenstherapie ein. Welche Faktoren müssen geklärt werden? Welche Missverständnisse und Fehlinterpretationen stehen einer erfolgreichen Therapie leider immer noch viel zu oft im Weg?

Ablauf einer fachgerechten Verhaltenstherapie

Kommt es im Zusammenleben mit Hunden zu Problemen, besteht der erste Schritt auf dem Weg zur Problemlösung in einer fachgerechten Analyse des Problems.

Die individuelle Beurteilung des Hundes

Dabei sollten folgende Punkte geklärt werden:

Was sind die Emotionen dieses Hundes?

  • Handelt es sich um ein Problem, dessen Ursache ein Trainingsmangel oder die vorherige Wahl eines ungünstigen Trainingsansatzes ist?
  • Sind negative Emotionen mit dem Problem verstrickt? In diesem Fall liegt die Lösung des Problems nämlich bereits nicht mehr in einer reinen Gehorsamsschulung: genauso wenig wie der Hund absichtlich, das heisst bewusst gesteuert, negative Emotionen hat und erlebt, können ihm diese wegbefohlen werden.
  • Die letzte Fragestellung richtet sich an den Gesundheitszustand des Tieres. Ist das Problemverhalten Ausdruck einer gesundheitlichen Störung oder wurde es allenfalls durch eine Krankheit begünstigt?

Merke: Ein Hund kann durchaus mehrere Probleme gleichzeitig haben, die sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen befinden.

Verstrickungen der Verhaltenssteuerung

Das gleichzeitige Zusammenspiel von drei Bereichen macht auch bei mitunter gleicher „Diagnose“ (d.h. Benennung der Erkrankung/des Problems) jeden „Fall“ zu einem „Einzelfall“!

  • Körperliche Gesundheit: gesund/krank - Wohlbefinden/Unwohlsein
  • Mentale Balance: ausgeglichen/ängstlich, panisch, wütend etc.          
  • Gehorsam: der Hund kennt das jeweilige Signal und führt es umgehend (idealerweise in freudiger Art) aus/er kennt Signal nicht oder reagiert nicht in entsprechend zuverlässiger Art

Merke: Ein Hund kann somit zwar durchaus gut erzogen aber dennoch verhaltensauffällig sein. Genau wie ein ungehorsamer oder auch vollständig untrainierter Hund keinesfalls zwangsläufig ein Problemhund ist.

 

Wer ist der richtige Ansprechpartner?

Wer ist für die Klärung des Problems und für die Therapiegestaltung der richtige Ansprechpartner?

Eine genaue Analyse der individuellen Problemlage ist für eine genaue Diagnosestellung essentiell.

  • Für eine fachlich kompetente und zudem schnellstmögliche Korrektur unerwünschter Verhaltensweisen* ist ein ausgereifter Trainingsplan erforderlich. Diesen kann jeder gut geschulte Hundetrainer erstellen.
  • Liegt jedoch ein Problemverhalten* vor, gewinnt auch ein klinischer Check-up des Hundes vor dem Trainings- bzw. Therapie-Starts an Bedeutung. Auch hier kann ein speziell für diesen Bereich geschulter Hundetrainer das Hund-Halter-Team als Coach begleiten.
  • Im Einzelfall ist es sogar durchaus als fachgerecht anzusehen, die ggf. erforderliche klinische Diagnose als einen zweiten Schritt der Analyse im Kopf zu behalten und bereits vorab mit verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Übungen zu beginnen. Spätestens aber wenn das auf positiven Techniken beruhendes Training nicht den erwarteten Verlauf nimmt und sich Erfolge nicht oder sehr schleppend einstellen, ist eine tierärztliche Abklärung unumgänglich.

Gleiches gilt für alle Fälle, in denen das Problemverhalten augenscheinlicherweise durch ein gesundheitliches Problem entstanden ist, durch dieses getriggert wird oder es sich um eine Verhaltensstörung* handelt.

Schweregrad des Konflikts

Kriterien

Ansprechpartner

Lösungsmassnahmen

Unerwünschtes Verhalten*

Normalverhalten, das jedoch vom Halter als störend empfunden wird.

Ein gut geschulter Hundetrainer.

Gehorsamstraining

Problemverhalten*

Normalverhalten, das mit einer emotionalen Belastung des Hundes und/oder gesundheitlichen Einschränkungen einhergeht.

Ein speziell für den verhaltenstherapeutischen Bereich geschulter Hundetrainer (Zusatzausbildung!) + ein Tierarzt

oder

Ein auf Verhaltenstherapie spezialisierter Tierarzt (Fachtierarzt / Verhaltenstierarzt).

Verhaltenstherapeutsiches Training
+ medizinische Unterstützung

Gestörtes Verhalten*

Krankhafte Verhaltensweisen

Ein Tierarzt (ggf. ein Facharzt für Verhaltenstherapie oder Neurologie).

Falls möglich, eine medizinische Behandlung.

Im Einzelfall, etwa beim Vorliegen schweren Leids und einer unbehandelbaren Erkrankung als Ursache auch die Euthanasie.

*Begriffserklärung siehe auch Teil 1

 

Die Einordnung von Verhaltensweisen

Hunde drücken ihre momentane Emotion, Motivation und Intention sowie in weitem Masse auch den Zustand ihres körperlichen Wohlbefindens über das Ausdrucksverhalten aus.

Ein essentieller Anspruch an jeden Hundetrainer ist es daher, die jeweils gezeigten Ausdruckselemente des Hundes erkennen und anschliessend sicher interpretieren zu können. Für die Interpretation sind solide Kenntnisse des (auch rassespezifischen) Normalverhaltens (Ethogramms) von Hunden erforderlich.

Aspekte zur Beurteilung von Normalverhalten

Bei der Beurteilung von Normalverhalten gilt es folgende Punkte einzubeziehen:

  • die Rasseveranlagung
  • das Alter
  • das Geschlecht
  • alle Faktoren der (Problem-)Situation

Was ist das Nomalverhalten dieses Hundes?

 

Fehltritte bei der Einordnung von Verhaltensweisen

Das Thema Hund und Verhalten bietet aus fachlicher Sicht relativ wenig Spielraum für „unterschiedliche Meinungen“. Leider werden jedoch von bestimmten Personen(gruppen) immer wieder oft wortreich fadenscheinige Pseudo-Interpretationen verbreitet, die wissenschaftlich bereits seit Jahren mehrfach wiederlegt wurden.

Merke: Ein Hund ist ein Hund und bleibt auch ein Hund!

Falsche Vergleiche führen in die Irre! Trainer, die sich bei der Interpretation von Hundeverhalten einzig oder hauptsächlich auf Wölfe beziehen oder menschliche Moral einbringen, lassen leider die erforderliche Fachkenntnis vermissen.

Auch wenn der wildlebenden Urahn eines Hundes der Wolf ist, so hat ein seit mehr als 12.000 Jahren laufender Domestikationsprozess beide Tierarten sehr weit voneinander entfernt. Das gilt vor allem im Hinblick auf ihr Sozialverhalten, aber natürlich auch in Bezug auf ihr Aussehen und ihre jeweiligen Talente.

Wird also der Wolf für die Auslegung von Verhaltensweisen des Hundes herangezogen, führt dies daher zwangsläufig zu einer Fehleinschätzung des Hundes.

Gleiches gilt für die Beurteilung des Hundes anhand menschlicher Wahrnehmungen, gesellschaftlicher Regeln und Sitten.

Häufige Missverständnisse zwischen Mensch & Hund

Liegt eine moralische Fehlinterpretation vor, befinden sich alle Beteiligten in einer wirklichen Falle. Der einzige Ausweg aus dieser Misslage heraus besteht in einer fachlich (ethologisch) korrekten Aufarbeitung der Sachlage.

Typische Anekdoten und Eigenschaften von Hunden, die jeder fachlichen Grundlage entbehren, sich aber erstaunlich hartnäckig halten sind:

  • „das schlechte Gewissen“
  • „der Welpenschutz“
  • die Interpretation, dass das Wedeln des Hundes ein grundsätzlicher „Ausdruck seiner Freude und Freundlichkeit“ sei

»Hunde sind in ihrem Innersten totale Egoisten! Sie setzen ihren Egoismus jedoch vielfach mit einem solchen Charme durch, dass wir geneigt sind, ihr Verhalten in moralisch verklärter Art zu interpretieren.«

Neben den oben aufgeführten Fehlinterpretationen, die sich meist auf konkrete Situationen beziehen, hat jeder, der sich in moderner und wissenschaftlich fundierter Art mit Training oder der Verhaltenstherapie von Hunden beschäftigt aber auch immer wieder mit dem veralteten und wissenschaftlich widerlegten Rangmodell zu tun.

Das Rangmodell - Das Märchen von gestern

Das Rangmodell suggeriert, dass die meisten Hunde nichts anderes im Sinn haben, als im übertragenen Sinn die »Weltherrschaft« zumindest wohl aber die Alleinherrschaft in ihrer sozialen Gruppe einnehmen zu wollen. Dies stellt Hunde in einem tragischen Irrlicht dar. Auch als Charaktereigenschaft dargestellte Attribute wie »dominant«, »kontrollsüchtig« oder »bockig« sind unter unerfahrenen Haltern, schlimmer aber noch auch unter den schwarzen Schafen der Hundetrainerschaft beliebte Beurteilungen.

 

Ein oft unterschätzter Aspekt: Die liebe Gesundheit

Neben den verhaltenskundlichen Fakten muss vor der Wahl der Therapiemassnahmen auch der jeweilige Ist-Zustand des Tieres speziell im Hinblick auf dessen Vorerfahrungen und gesundheitlichen Belange hin überprüft werden.

Bei einer unzureichenden Analyse werden eine etwaige Schmerzbelastungen des Tieres oder andere Erkrankungen, die mit Unwohlsein, emotionalem Stress oder körperlichen Einschränkungen einhergehen können, leider allzu oft übersehen!

Gesundheitliche Aspekte werden oft unterschätzt

 

Konsequenzen falscher, unvollständiger oder ausbleibenden Abklärungen

Fehlinterpretationen des vom Hund gezeigten Verhaltens oder eine mangelnde tierärztliche Abklärung führen den Tierhalter mit seinem Tier auf ihrem gemeinsamen Weg zwangsläufig in eine falsche Richtung.

Die durch einen unzureichend geschulten Coach (und ggf. ohne tierärztliche Gesundheitskontrolle) abgeleiteten Trainings- bzw. Therapieanweisungen sind in der Regel schon alleine aufgrund der zugrundeliegenden Fehleinschätzung unsinnig. Sie rauben dem Tierhalter Zeit und Geld.

Am meisten leidet der Hund

Für den Hund liegt das Problem jedoch auf einer anderen Ebene: Fachlich unzureichend ausgefeilte oder gar kontraproduktive Trainingsansätze, die strafbasiert sind, bei denen eine klinische Grundbedingung übersehen wird oder die in vielen Fällen die Berücksichtigung jeglicher ethologischer und lerntheoretischer Erkenntnisse vermissen lassen, führen nicht nur zu keiner Problemlösung, sondern sie stehen dem Schutz des Tierwohls entgegen - gedanklich, körperlich sowie gemäss der schweizerischen Rechtsprechung! Nicht selten wird das Problem als Folge daraus sogar noch verschlimmert!

 

Die Wahl eines professionellen Coaches

Die Grundvoraussetzung für das gute Gelingen einer fachgerechten und somit tierschutzkonformen Verhaltenstherapie ist somit die Wahl eines geeigneten Coaches.

Merke: An die Hundehalter kann nur appelliert werden, bei der Wahl des Coaches besonders kritisch hinzuschauen. Die Fachperson sollte über eine solide Ausbildung verfügen und diese nachweisen können.

Wichtig zu wissen: Berufsbezeichnungen wie „Hundetrainer“, „Verhaltensberater“ etc. sind in der Schweiz nicht rechtlich geschützt. Es bestehen zwar zahlreiche anerkannte Ausbildungsstätten und Lehrgänge, doch theoretisch kann sich „Jedermann“ als eine solche Fachperson bezeichnen, auch ohne jeglichen Ausbildungsstand. Es gilt daher die Seriosität des Coaches wirklich zu prüfen.

Unterschiedliche Coaches haben unterschiedliche Ansätze, wobei es gilt, die tierschutzkonformen Ansätze von den Leid und Schaden erzeugenden zu unterscheiden. Im 3. Teil dieses Beitrages wird weiter auf dieses Thema eingegangen.

Zusatzkompetenzen eines guten Coaches - die menschliche Ebene

Neben der fachgerechten Analyse des Tieres sollte ein guter Hundecoach auch in der Lage sein einzuordnen, wo der Halter steht:

  • Von welcher Qualität ist die Beziehung zwischen Hund und Halter/oder Halter und Hund?
  • Welches Wissen herrscht auf Halterseite vor? Kann darauf aufgebaut werden?
  • Muss der Tierhalter in bestimmten Bereichen auf modernere Erkenntnisse hingewiesen oder muss ggf. im Vorfeld in Richtung des Tierhalters gar ein gewisses Mass an wissenschaftlich basierter „Überzeugungsarbeit“ geleistet werden?

Hund-Mensch-Team bei der Arbeit

Die fachgerechte Verhaltenstherapie zusammengefasst

  1. Zeigt der eigene Hund Verhaltensprobleme ist es sehr empfehlenswert, nicht zu lange zu warten und sich professionelle Hilfe zu holen. Die Wahl eines geeigneten professionellen Coaches (Hundetrainer, Fachtierarzt für Verhalten) ist der erste und ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor.
     
  2. Der Start der Therapie ist das Anamnese-Gespräch mit dem Tierhalter. Hier geht es um die Sammlung aller Daten aus der Vorgeschichte des Hundes.
     
  3. Die Beurteilung des Tieres anhand seines Ausdrucksverhaltens dient der Klärung der Frage, welche Emotionen vorherrschen, welche Intention das Tier verfolgt und welche Motivationslage vorliegt.
     
  4. Die tierärztliche Untersuchung des Tieres ist nicht in jedem, jedoch in vielen Fällen erforderlich. Ihr Ziel ist, gesundheitliche Probleme als Ursache oder Trigger für die Verhaltensprobleme auszuschliessen oder andernfalls zu behandeln.
     
  5. Die Diagnose benennt das Problem im Detail. Die Diagnosefindung ergibt sich aus den Schritten 2 bis 4, sowie einer sorgfältigen Abgrenzung von anderen potentiellen Differentialdiagnosen. Der Therapieerfolg hängt nicht zuletzt entscheidend von der Richtigkeit der Diagnose ab.
     
  6. Die Prognose bezieht sich auf die inhaltliche und zeitliche Abschätzung des erwarteten Therapieerfolges. Wichtig zu wissen ist, dass in manchen Fällen eine „Heilung“ des Problems nicht möglich ist. Die Frage der Prognose richtet sich dann an dem Mass der erwarteten Verbesserungen aus. Faustregel: Die Therapie eines schwerwiegenden oder schon lange Zeit bestehenden Problems erstreckt sich in aller Regel über mehrere Wochen oder Monate. Nicht zuletzt daher ist ein frühzeitiger Therapiestart stets von grossem Wert!
     
  7. Die Erstellung eines Therapiekonzeptes für die Umsetzung der gezielten Therapiemassnahmen. Nun erst geht es um die Auswahl der Übungen, Management-Massnahmen oder Hilfsmittel sowie ggf. um die Einbeziehung einer begleitenden klinischen Therapie mit Arzneimitteln, Physiotherapie oder anderen Massnahmen zur Verbesserung oder idealerweise Wiederherstellung der Gesundheit.
     
  8. Bei der Umsetzung des Therapieplanes ist in der Regel vor allem der Hundehalter gefragt. Geduld, Einfühlvermögen und das „genaue Arbeiten“ zahlen sich aus. Regelmässige Check-ups als Trainingskontrollen oder durch den Coach begleitete Trainingssitzungen sind sinnvoll, um wirklich am Ball zu bleiben und den richtigen Weg beizubehalten. Mögliche (Trainings-)Fehler (auf menschlicher Seite), die sich immer einmal einschleichen können, werden auf diese Weise frühzeitig, d.h. bevor sie sich gefestigt haben, aufgedeckt und korrigiert.

 

Die gesamte Serie "Verhaltenstherapie beim Hund" lesen

Wir sind uns bewusst, dass die einzelnen Beiträge dieser Serie etwas länger ausfallen als gewohnt. Doch dieses wichtige Thema liegt uns ausserordentlich am Herzen und für das gute Verständnis der Zusammenhänge wollten wir die Serie nicht noch weiter aufteilen.

Es lohnt sich sehr alle 3 Teile zu lesen:

 

Dieser Beitrag wurde geschrieben von Celina del Amo, Lupologic GmbH Hundeherzlichen Dank!

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Autoren

Celina del Amo
Verhaltenstierärztin & Hundetrainerin

Lupologic GmbH

Celina del Amo ist Tierärztin mit dem Fachschwerpunkt Verhaltensmedizin Kleintiere. Sie leitet Hundekurse in den Themenbereichen: Welpenförderung, Familienbegleithund (= Problem- prophylaxe), Physiotherapie, Tricktraining & Dogdance.

Im Sektor Hundeerziehung hat sie zahlreiche Bücher veröffentlicht, welche in viele Sprachen übersetzt wurden und von Fachpersonen sowie Laien gleichermassen geschätzt werden.

Seit weit über einem Jahrzehnt ist sie im In- und Ausland als Referentin und Kursleiterin unterwegs. Sehr häufig führt ihr Weg sie hierbei in die Schweiz.

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