Der Kreuzbandriss beim Hund
Risse des vorderen Kreuzbandes werden beim Hund sehr häufig festgestellt. Im Gegensatz zum Menschen, bei welchem meist der Sport als Ursache zu bezeichnen ist, ist eine solche Vorgeschichte beim Hund selten zu finden. Da einige Hunde aufgrund ihrer Konstitution auf Kreuzbandrisse anfällig sind und die Tiere sowieso anders stehen und laufen als der Mensch, darf man die Operationstechniken aus der Humanmedizin nicht einfach auf den Hund übertragen. So ist es leider unumgänglich, dass Hunde mit angerissenen oder gerissenen vorderen Kreuzbändern auf dem Operationstisch landen.
Was ist das Kreuzband - etwas Anatomie des Kniegelenkes
Das Knie ist ein Scharniergelenk mit circa 30° Rotationsmöglichkeit. Beteiligte Knochen sind der Unterschenkel (Schienbein oder Tibia; Wadenbein oder Fibula), der Oberschenkel (Femur) und die Kniescheibe (Patella).
Das Kniegelenk wird geführt durch zwei gerade Seitenbänder und die beiden Kreuzbänder. Letztere verhindern eine starke Verdrehung des Knies und ein Vorwärtsgleiten des Unterschenkels. Zur Stossdämpfung sind zwischen den Knochen die beiden Menisken zu finden. Sie haben auch einen stabilisierenden Effekt.
Nicht vergessen darf man den starken Muskelapparat, welcher nicht nur für die Laufarbeit zuständig ist, sondern das Kniegelenk auch in seiner stabilen Position hält.
Wie entsteht ein Kreuzbandriss beim Hund?
Das kritische Hinterfragen über die Entstehung des Kreuzbandrisses beim Hund liefert einige Fakten, welche eine andere Ursache als Sport wahrscheinlich machen:
- entfernte Kreuzbandreste wiesen Zeichen längerer Abnutzung auf
- meistens kommt es zu Teilrissen, erst später zu Totalrissen
- es gibt bei Hunden nur sehr selten eine Vorgeschichte mit einem Unfall respektive einer massiven Krafteinwirkung auf das Knie
- die Kniegelenkbiomechanik ist beim Hund anders als beim Menschen
- je schwerer der Hund, desto häufiger ein Kreuzbandriss
- es gibt Rassen wie Rottweiler, Neufundländer und Staffordshire Terrier, welche häufiger betroffen sind als andere
- ist ein Knie betroffen, wird nicht selten das andere auch einen Kreuzbandriss erleiden
- auf den Röntgenbildern ist bei so genannten „akuten“ Rissen bereits Arthrose zu sehen
Abbildung: Schematische Darstellung der wichtigsten Kräfte im Kniegelenk:
- F(Q) = Kraft des Quadricepsmuskels
- F(JC) = Joint compressive force
- CTT = cranial tibial thurst
- F(L) = Gegenkraft des vorderen Kreuzbandes
- F(Q) = F(JC) + CTT
Zusammenfassend darf davon ausgegangen werden, dass der Kreuzbandriss wie folgt entsteht: es gibt beim Hund während der normalen Bewegung permanent eine Kraft (CTT), welche am vorderen Kreuzband zieht, es langsam ausfranst und es schliesslich zum Reissen bringen lässt.
Diese Kraft ist umso grösser, je mehr der Oberschenkelmuskel am Unterschenkel zieht, je grösser und übergewichtiger der Hund ist, je steiler die Hinterhand steht und je schmaler der obere Unterschenkel ausgebildet ist.
Das hintere Kreuzband reisst im Übrigen nur sehr selten, es wird nämlich nur in der Schwungphase beansprucht. In dieser Phase drückt kein Körpergewicht auf das Bein. Das vordere kreuzband hingegen, erfährt seine maximale Belastung genau beim Auffussen. So ist folgend jeweils vom vorderen Kreuzband die Rede.
Wie erkenne ich einen Kreuzbandriss bei meinem Hund?
Hunde mit einem Kreuzbandriss zeigen eine Anlauflahmheit. Das Hinterbein wird in einer Beugehaltung getragen und der Boden manchmal nur mit der Fuss-Spitze berührt. Nicht selten werden bei Hunden Episoden von wechselnder Intensität beobachtet, was auf die mehrfachen Teilschädigungen des Kreuzbandes hinweist. Die Muskulatur des Hinterbeines schwindet. Beim Sitzen wird das Knie unter den Bauch gelegt oder seitlich weggespreizt. Deutliche Schmerzäusserungen gibt es nur, wenn das Band einen weiteren Riss erleidet.
Video: Gangbild eines Hundes mit einem Kreuzbandriss und Untersuchung
Wann sollte ich mit meinem Hund zum Tierarzt ?
Ein Tierarztbesuch ist angezeigt, wenn der Hund länger als drei bis vier Tage hinkt, die typischen Anlaufprobleme oder deutliche Schmerzen beim Auftreten zeigt. Wenn der Hund gar nicht abstehen sollte, dann ist am kommenden Tag sofort die Tierarztpraxis aufzusuchen und es sind jegliche Aktivitäten wie Spielen oder lange Spaziergänge zu vermeiden.
Welche Diagnosen gibt es, wie kann der Tierarzt diese stellen?
Bei einem vorderen Kreuzbandriss schwillt das Gelenk an und es entsteht das so genannte Schubladen-Phänomen. Dabei kann der Tierarzt den Unterschenkel bei fixiertem Oberschenkel nach vorne schieben. Dieser Test ist beweisend für einen Kreuzbandriss. Bei langer Krankheitsgeschichte kann das Kniegelenk bereits stark arthrotisch sein, was die klinische Diagnose erschwert. Zum Ausschluss von anderen Krankheiten und zur Operations-Planung wird ein Röntgenbild angefertigt. Dieses zeigt häufig einen Gelenkerguss und Arthrose. Meniskusschäden können einen Kreuzbandriss begleiten. Sie führen beim Hund häufig zu massiven Gangproblemen. Eine CT oder MRT Untersuchung ist nicht notwendig.
Das Kniegelenk nach einem vorderen Kreuzbandriss; der Unterschenkel (Tibia) kann nach vorne ausweichen (Schubladen-Phänomen). Bild: Matthias Haab, Universität Zürich.
Seitliches Röntgenbild eines Kniegelenks einer Dogge mit einem vorderen Kreuzbandriss. Es ist eine starke Füllung zu sehen.
Welche Behandlungs-Methoden gibt es und wie sind deren Prognosen?
Der vordere Kreuzbandriss beim Hund soll in der Regel operativ versorgt werden, weil ein unbehandelter Riss schnell zu massiver Arthrose und somit zu einer markanten Verschlechterung der Lebensqualität führt. Das Kreuzband kann aufgrund der permanenten Zugbealstung nicht zusammenwachsen. Je nach Gewichtsklasse des Patienten, wirtschaftlichen Überlegungen sowie Ausrüstung und Können des Tierarztes kann zwischen verschiedenen Operations-Methoden gewählt werden.
Methode des Bandersatzes
Wie beim Menschen kann man auch beim Hund das Kreuzband, anatomisch korrekt, mittels Umlegung von starken Muskelbündeln oder Sehnenplatten, ersetzen. Die Enden werden vernäht oder angeschraubt. Diese Therapie wurde vor allem zu Beginn der Kleintierorthopädie eingesetzt und erlebt zurzeit ein Revival. Sehr starke und neu entwickelte Kunstbänder (z.B. ZLig), welche mit 4 Schrauben in Ober- und Unterschenkel fixiert werden, versprechen eine zuverlässige Lösung. Wenn auch eher gedacht für kleine Hunde, so haben aber auch schon 60 kg Patienten ein stabiles Knie bekommen.
Die zweite Bandersatzmethode ist die Stabilisierung ausserhalb des Kniegelenkes. Der Faden wird durch den Unterschenkel und hinter dem Oberschenkel über einen Knochen oder via Knochenanker geführt. Es werden bis zu drei Fäden eingesetzt. Als Material wird Stahl, Silch oder nicht-auflösbares Polyester verwendet. Leider besteht jedoch vor allem bei grossen Hunden die Gefahr der Fadenlockerung oder des Fadenrisses.
Methode der Biomechanik-Änderung
Eine eigentliche Revolution brachten zu Beginn der 2000er Jahre die Methoden, bei welchen die Biomechanik des Kniegelenkes derart verändert wurde, dass das Kreuzband nicht mehr ersetzt werden musste. Dabei wird entweder das Unterschenkelplateau angehoben oder der vordere Rand des Unterschenkels weiter nach vorne gebracht. Bei beiden Methoden wird die Kraft, welche das Kreuzband noch aufnehmen müsste, praktisch auf Null reduziert. Deswegen wird das Kreuzband gar nicht mehr rekonstruiert.
Die Operationen erfordern spezielle Ausrüstungen und Implantate. Bei schweren Hunden und Hunden mit starker Arthrose sind diese Techniken mit Knochenschnitten (Tibial Tuberosity Advancement TTA oder Tibia Plateau Leveling Osteotomy TPLO) heute bei Kreuzbandrissen die Methoden der Wahl.
Für Riesenrassen gibt es praktisch keine Alternativen zu diesen neuen Methoden, insbesondere weil die Nachsorge einfacher ist als bei Bandersatzen und schon nach ca. 6 Wochen keine Gefahr mehr besteht, dass ein Fadenriss den Erfolg der Operation in Frage stellt.
Massnahmen nach der Operation
Unabhängig von der Methode sollten die Hunde nach der Operation Schmerzmittel und manchmal Knorpelaufbaupräparate bekommen (Glykosaminoglykane und Chondroitinsulfate). Physiotherapie, strenge Gewichtskontrolle und mässige Bewegung sind weitere wichtige Massnahmen in den ersten Monaten nach der Operation.
Die Erholungszeit nach einer TTA beträgt ca. drei Monate. Bei erfolgreichen Therapien ist sogar der Einsatz im Sport oder im Schutzdienst wieder möglich. Im Gegensatz zum Bandersatz, bei welchem für die Hunde bis zu vier Monate Heilungszeit anstehen, erholen sich die Hunde bei einer TTA vor allem direkt nach dem Eingriff schnell und stehen meist schon am Folgetag wieder das operierte Bein. Im Weiteren haben TTA resp. TPLO den Vorteil, dass das Kreuzband (weil nicht ersetzt) nicht mehr reissen kann.
Bandersatz ausserhalb des Gelenkes, geeignet für kleine Hunde. Grafik: Jonas Lauströr
TPLO, aus den USA stammende Methode der Biomechanikänderung der Vorläufer aller neuen Techniken. Grafik: Jonas Lauströr
TTA, eine der neuen Methoden, welche die Biomechanik des Knies verändert; sehr zu empfehlen für grosse Hunde und Riesenrassen. Grafik: Jonas Lauströr
Röntgenbild nach erfolgreicher TTA. Diese Technik wurde im Jahr 2001 in Zürich entwickelt und hat sich weltweit verbreitet. Kyon AG, der Implantateanbieter, ist eine Schweizer Firma.
Wie kann ich einem Kreuzbandriss bei meinem Hund vorbeugen?
Wegen der oben aufgeführten Herleitungen sollten weder junge noch alte Hunde Übergewicht haben und keinen Spitzensport betreiben. Daneben gilt es auch die Hunderassen zu beachten, denn wie eingangs erwähnt, neigen zum Beispiel die Rottweiler, Neufundländer oder Staffordshire Bullterrier wegen ihrer Körperform vermehrt zum vorderen Kreuzbandriss.
Häufige Missverständnisse in Sachen Kreuzbandriss beim Hund
Die Entstehung des Kreuzbandrisses bei Hund und Mensch ist verschieden. Deswegen können die Methoden der Humanmedizin (wie zum Beispiel Bandersatz oder nicht-operatives Vorgehen) nicht einfach auf den Hund übertragen werden. Die plötzliche Lahmheit ist denn auch nicht das Resultat eines einmaligen Risses, sondern nur das Ende einer Reihe von Teilrissen welche nicht frühzeitig erkannt wurden.
Fazit
Kreuzbandrisse sind häufige Probleme bei Hunden. Zuchten auf grosse Rassen sowie übergewichtige, alt werdende und sportliche Hunde sind als Risiko-Patienten anzusehen. Die Operation des Kreuzbandrisses stabilisiert das Kniegelenk sehr gut und führt zu einem angenehmen Hundeleben, auch falls die Kniearthrose etwas voranschreiten sollte. Trotzdem: je früher Sie einen Teilriss im Kreuzband Ihres Hundes erkennen, je besser können Sie ihm helfen.
Weiterführende Links:
- Fachartikel: Der Hund im Wachstum
- Ratgeber: Ernährung & Bewegung für den heranwachsenden Hund
- Fachartikel: Die Patellaluxation beim Hund
Dieser Beitrag wurde geschrieben von Dr. med. vet. ECVS Daniel Koch, Daniel Koch Kleintierchirurgie AG. Aktualisiert im April 2021. Hundeherzlichen Dank!